Julie Otsuka: Wovon wir träumten

Wechselbad

Dieses kleine Buch hat mir einen heftigen Meinungswandel im Verlauf der Lesereise beschert.

Gegenstand der Erzählung ist der Lebensweg japanischer Frauen, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ihr Land verlassen, um in den USA Japaner zu heiraten, die sie nur von den geschönten Fotos der Brautwerber kennen.

Zunächst fand ich es sehr interessant, dass die Autorin konsequent eine Wir-Perspektive benutzt:

Einige von uns hatten Geheimnisse und schworen sich, sie im Leben nicht ihren Ehemännern anzuvertrauen, Vielleicht war der wahre Grund für unsere Reise nach Amerika ein lange verschollener Vater, der die Familie vor Jahren verlassen hatte und den wir wiederfinden konnten. … Oder vielleicht ließen wir eine kleine Tochter zurück, deren Vater jemand war, an dessen Gesicht wir uns kaum noch erinnern konnten – ein Märchenerzähler auf Wanderschaft, der eine Woche im Dorf verbracht hatte, oder ein buddhistischer Wanderpriester, der eines Spätabends auf seinem Weg zum Fuji bei uns eingekehrt war. Und auch wenn wir wussten, dass unsere Eltern sich gut um sie kümmern würden – 'wenn du hier im Dorf bleibst‘, hatten sie uns gewarnt, 'wirst du niemals heiraten‘ -, fühlten wir uns trotzdem schuldig, dass wir unser Leben über das unserer Tochter gestellt hatten, und auf dem Schiff weinten wir jede Nacht um sie, mehrere Nächte hintereinander, bis wir eines Morgens aufwachten, uns die Tränen wegwischten und sagten: „Genug jetzt“, und anfingen, an andere Dinge zu denken.

Eine Weile hat es einen Reiz, diese Spannung von Gemeinschaft und Einzelschicksal in dieser Erzählperspektive aufgehoben zu sehen, aber auf die Dauer wird daraus eine Masche und die ermüdet doch ungemein.

Dass die Leiden der Japanerinnen im Mittelpunkt stehen, scheint in der Natur der Sache zu liegen. Aber im letzten Teil der Erzählung wird mit einem Zeitsprung von den Internierungen der Japaner in den USA während des Krieges berichtet. Und da war ich denn doch sehr verwundert, denn was dieser Roman (unredlicherweise) ausspart, sind die folgenden guten Jahre. Denn wer in die Internierungslager wandert, ist kein einfacher Arbeiter mehr, sondern es sind die Väter und Mütter von Studenten, es sind Ladeninhaber, Hausbesitzer, Mittelschichtler. Hier wird ein sozialer Aufstiegsprozess verschwiegen, der sicherlich viel menschliche Energie verlangt hat. Aber das Verschweigen des Erfolgs lässt mich eine prinzipielle Larmoyanz vermuten, die ich nicht mag. So endet die Lektüre mit einer ziemlich kühlen Dusche.

25.09.2012