Laurent Seksik: Vorgefühl der nahen Nacht

Was darf ein Autor?

Erzählt werden die letzten Lebenswochen Stefan Zweigs in Brasilien. Das wäre ein guter Roman, wenn es denn ein solcher wäre. Aber hier nennt der Autor den Namen Stefan Zweig und beansprucht damit, die gültige Geschichte von dessen Ende zu kennen. Und er schreibt so, dass für den Leser keine Möglichkeit des Zweifels bleiben soll, ob es nicht auch ganz anders hätte sein können. Bis in den letzten Lebensmoment begleitet der Autor Stefan Zweig in sein selbst gewähltes Ende. Und das ist Anmaßung, auch wenn im Anhang gesagt wird: „Die Worte und Reflexionen der historischen Personen sollen die Geisteshaltung widerspiegeln, von der die Briefwechsel, Zeitungen, Artikel und Bücher der Protagonisten inspiriert sind.“ Da hätte ich mir doch eine andere Erzählhaltung gewünscht, eine mit mehr Respekt für die Personen und Zweifeln an der Selbstherrlichkeit des Erzählers.
Stefan Zweig war in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts der meistgelesene Schriftsteller weltweit. Seine Tragödie und die seiner Kollegen, die ins Exil gehen mussten, wird hier anschaulich dargestellt:

Er dachte an die lächerliche Wendung, die sein eigenes Schriftstellerdasein genommen hatte. Er schrieb nur noch, um übersetzt zu werden – ins Englische, dank des guten Ben Huebsch bei Viking Press, und ins Portugiesische von Abrahao Koogan. Seit bald einem Jahr veröffentlichten die deutschen Verlage keine Werke jüdischer Autoren mehr – der Insel-Verlag, dem er immer die Treue gehalten hatte, so wenig wie die anderen. Der kleine Wiener Verlag, in dem er dann veröffentlicht hatte, war seit dem Anschluss nicht existent, der Verleger nach Amerika geflohen. Stefan schrieb in der Sprache des Volkes, aus dem er verbannt worden war. Ist man überhaupt noch ein Schriftsteller, wenn man nicht mehr in der eigenen Sprache gelesen wird? Ist man noch lebendig, wenn man nicht mehr zu seinen Lebzeiten schreibt?

20.11.2011