Doris Dörrie: Der Mann meiner Träume

Auch in Überlingen gibt es offene Bücherschränke, und aus einem habe ich einen schmalen Band mitgenommen.

Den Umschlag ziert das „Bildnis eines Unbekannten“ von Sandro Botticelli und es ist dieses Porträt, das Antonia, ein Fotomodell, das nach sechs Berufsjahren alle Illusionen verloren hat, so sehr beeindruckt, dass sie es als Postkarte mit sich herumschleppt. Und eines Tages scheint der Schöne, der vor über 500 Jahren gemalt wurde, wieder unter den Lebenden zu sein. Er sitzt als Bettler vor einem Kaufhaus. Antonia holt den abgebrochenen Studenten und antikapitalistischen Konsumverweigerer in ihre Welt. Er, Johnny, bleibt bei seinen Gewohnheiten und sie wirkt für ihre Bekannten interessant, weil sie sich einen ungewöhnlichen Mann hält. Als sie vorschlägt zu verreisen, stimmt er freudig zu schlägt Peru vor. Und schon findet sich Antonia als Rucksacktouristin in Lima wieder ohne sauberes Hotelbett mit Dusche und WC. Sie schlägt sich mit immer mehr Selbsthass durch, der proportional zu ihrer körperlichen Ungepflegtheit wächst. Während Johnny Land, Leute, Kultur genießt, bleibt Antonia eingekapselt in ihrer Welt des Schönheitsverlustes, der sie sich dann vollkommen ausgesetzt sieht, als Johnny ihren Rucksack von all dem erleichtert, was ihn und ihr Leben beschwert.

Johnny öffnete ihren Rucksack, wühlte darin herum, holte als erstes ihre gut versteckten Pumps heruas, dann ihre restlichen siebzehnWegwerfunterhosen, dann schleuderte er der Reihe nach ihre sämlichen Kosmetika in hohem Bogen in das undurchdringliche Gebüsch rechts und links des Pfades, während er dabei amüsiert die Namen die Tuben und Tiegel vorlas: “Pure Nature Factor 100?, kicherte er, “Future Perfect”, “Moisture Splash”, “Biological Age Control”, wieherte er, “Sun Repair Comlex”, “Styling Gel” …

Nun ist der Rucksack leichter, aber er bietet keinen Eintritt in sein Leben und so bleibt Antonia nur, im Moment der Trennung die Namen von all den Lippenstiftfarben aufzusagen, die sie kennt. Die Liste ist lang.

Diese schon 1991 erschienene Erzählung illustriert den unverwechselbaren Stil der Dörrie: Mit jedem Satz zeichnet sie sowohl ein Bild und reißt gleichzeitig dessen glatte Konturen auf. Das beginnt mit dem ersten Satz und hört nicht auf.

Antonia taten von den Stöckelschuhen die Füße weh, und sie hatte Kopfschmerzen, weil die Hairstylistin ihr die Haare nach hinten gerissen und mit kleinen, pieksigen Haarnadeln wie mit Tapeziernägeln auf der Kopfhaut festgesteckt hatte. Ihre Haut fühlte sich rauh und schuppig an von all dem Make-up, das ihr eine unfreundliche Visagistin morgens um sechs so gelangweilt und unbeteiligt mit Schwämmchen, Pinseln, Q-Tips und Wattebällchen ins Gesicht gemalt hatt, als renoviere sie ihre Küche.

Das macht die Lektüre zu einem Vergnügen für die Sinne und den kritischen Verstand, der in den brüchigen Konturen die Bruchlinien der gesellschaftlich gültigen Konventionen erkennen kann.

20.09.2011