Paul Auster: Timbuktu

Der Hund als Picaro

Wenn Paul Auster eine Hundegeschichte schreibt, erregt das skeptische Neugier. Also hinein in die Büchertasche.

Nein, es geht nicht um die Oasenstadt in Mali. Timbuktu nennt Willy, ein schön schräger Zeitgenosse, das Jenseits, wo jeder „eins mit dem Universum [ist], ein winziges Stück Antimaterie im Hirn Gottes.“ Davon erzählt er oft seinem Hund Mr. Bones, denn er fühlt, dass sein Leben nicht mehr lange dauern wird. Aber bis zu seinem Ende lebt er mit seinem einzigen Gesprächspartner, einer Promenadenmischung, und lehrt ihn das Leben auf der Straße mit ihren Gefahren und Freiheiten. Es sind Hundeaugen und ein kluges Hundegehirn, die diese Welt und sich selbst betrachten. Und deswegen ist der Blick von unten nach oben gerichtet.

Damit versetzt Auster den Hund in die klassische Picaro-Situation, in der der tumbe Tor durch die Welt geht.

Als Willy stirbt, muss Mr. Bones die Augen erst einmal geradeaus richten und sich aus dem Staub machen, will er den Gefahren der Stadt und ihrer Polizisten und Hundefänger entgehen.

Er scheint Glück zu haben und findet Unterkunft in einer fast bilderbuchmäßigen amerikanischen Mittelschichtfamilie. Und während er ein sauberes, zeckenfreies und gut genährtes Hundeleben führt, erkennt er die Brüchigkeit der bürgerlichen Fassade.

Immer wieder träumt er von Willy und den fröhlichen Zeiten mit ihm, bis eines Tages ein scheinbar anderer Willy sich in seine Träume tritt. Mr. Bones ist krank und weil seine Familie in Ferien ist, befindet er sich in einer Hundepension.

„Ich sag’s dir nur einmal“, sagte Willy, „also hör genau zu und halt die Schnauze. Du hast einen Witz aus dir gemacht, einen lahmen, abgeschmackten Witz, und ich verbiete dir, mich dir je wieder ins Gedächtnis zu rufen. Vergiss das nicht, du Köter. Schreib’s dir auf die Türpfosten deines Hundepalastes und benutz nie wieder meinen Namen […] All dieses Rumgejammer, dieses Gemecker darüber, was dir zugestoßen ist […]

Mit letzte Kraft schafft es Mr. Bones, aus dem Heim zu fliehen. Er erreicht eine breite Straße.

Und so geschah es, dass Mr. Bones […] an einem strahlenden Wintermorgen in Virginia zu beweisen versuchte, dass er ein Champion unter den Hunden war. Er trat von der Wiese auf den Seitenstreifen der gen Osten führenden Fahrbahn, wartete auf eine Lücke im Verkehr und rannte los. So schwach er auch immer war, er hatte noch immer Mumm in den Knochen, und als er erst einmal [bei dem Spiel „Den Autos ausweichen) in Schwung gekommen war, fühlte er sich so stark und glücklich wie seit Monaten nicht mehr. Er rannte hinaus in den strahlenden Glanz du den Krach, die auf ihn einstürmten.

Mit ein bisschen Glück würde er bei Willy sein, noch bevor der Tag zu Ende war.

Ein wunderschön unaggressives Plädoyer für das unbürgerliche Leben – aus Hundeaugen gesehen.

25.11.2012