Irving D. Yalom: Das Spinoza-Problem

Die Begeisterung für Yaloms 'Und Nietzsche weinte‘ klang noch nach, als ein neuer Roman von ihm in die Buchhandlungen kam.

Auch hier folgt er dem Rezept des Nietzsche-Romans: er bringt zwei historische Persönlichkeiten in einen fiktiven Bezug. Hier ist es der jüdische Philosoph der Aufklärung, Baruch Spinoza, und Alfred Rosenberg, den wichtigsten antisemitischen Ideologen der Nazis. Das historisch verbürgte Verbindungsglied zwischen diesen Personen ist die Tatsache, dass Rosenberg ein persönliches Interesse daran hatte, das Spinoza-Museum bei Amsterdam für seine persönlichen Zwecke zu requirieren.

Das ist für Yalom der Ausgangspunkt für seine Romanhandlung. Kapitelweise abwechselnd entwickelt Yalom nun die Geschichte seiner Protagonisten. Dabei stellt er gleich zu Beginn einen Spinoza vor, der sich aus den Denkschablonen seiner jüdischen Gemeinde schon lange befreit hat und sich die Freiheit nimmt, seinen Gott auf seine Art zu lieben. Dies wird ihm den Cherem bescheren, die Exkommunikation auf Jüdisch. Umso mehr kann er sich seinen Studien widmen und seinen Lebensunterhalt als Linsenschleifer verdienen.

Auch wenn der geneigte Leser eine Menge über Spinozas Philosophie erfährt, bleibt die literarische Figur blass, denn sie ist mit den ersten Beschreibungen schon eingefangen und kann sich nicht mehr entwickeln. Das ist schade.

Auch die Figur Rosenberg bleibt unscharf. Ihm geschieht es, dass er bei der Spinoza-Lektüre scheitert und das ist sein Stachel im Fleisch:

An der außerordentlichen Intelligenz des Autors (i.e. Spinoza) war nicht zu rütteln. Nun verstand Alfred endlich, endlich, weshalb der große Goethe und all die anderen Deutschen, die er so sehr liebte – Schelling, Schiller, Hegel, Lessing, Nietzsche -, diesen Mann verehrten. Wie konnte sie einen Geist wie diesen auch nicht bewundern? Aber natürlich hatten sie in einem anderen Jahrhundert gelebt und nichts von der neuen Rassenforschung gewusst, nicht von den Gefahren vergifteten Blutes – sie bewunderten schlicht und einfach diese Mutation, diese außergewöhnliche Blüte, die sich aus dem Morast erhoben hatte. Alfred betrachtete die Titelseite „Benedictus Spinoza“ – hmm, Benedictus, ein Name mit größtmöglicher Ferne zu einem semitischen Namen. In der biographischen Kurzbeschreibung stand, dass Spinoza in seinen Zwanzigern von den Juden exkommuniziert worden war und danach nie mehr Kontakt zu einem Juden hatte. Also war er eigentlich gar kein Jude. Er war eine Mutation – die Juden stellten fest, dass er kein Jude war, und auch er musste das erkannt haben, weil er diesen Namen angenommen hatte.

Hier und an anderen Stellen macht es sich Yalom etwas zu leicht. Rosenberg ist zu dumm und durchsichtig gestaltet, als dass seine Gefährlichkeit hinreichend deutlich würde.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist der Roman hervorragend dazu angetan, hinter die Vorhänge der Wirklichkeitskonstruktionen der Religionen und Ideologien zu schauen. Ein Roman, der auf jeden Fall klüger macht.

25.09.2012