Christoph Poschenrieder: Der Spiegelkasten

Das war der erste Poschenrieder-Klick für ein wochenendliches E-Book. Wieder knüpft der Autor an ein tatsächliches Geschehen an und entwirft auf dieser Grundlage das Panorama einer Zeit. Damit erinnert er mich sehr an Theodor Fontane, dem es in ähnlicher Weise gelang, aus Geschehnissen seiner Zeit mit seinem poetischen Realismus Gesellschaftsausschnitte lebendig werden zu lassen.

Diesmal ist es die Geschichte eines jüdischen Offiziers zu Beginn des ersten Weltkriegs, dem immer wieder bewusst gemacht wird, dass der Ausspruch von Wilhelm II., er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, für Deutsche jüdischen Glaubens nicht gilt.

In diesem Roman gibt es einen jungen Ich-Erzähler, der arbeitet

als Medienbeobachter bei einer Organisation, deren Existenz ich manchmal bezweifelte, weil ich niemals Rückmeldung aus meine Dossiers erhielt.

In den Nächten beschäftigt er sich mit dem meist wenig erfolgreichen Bestellen einer Pizza nach seinem Geschmack und mit dem Inhalt eines Kartons, der ihn lange ungeöffnet begleitet hat. Es ist der Nachlass seines Großonkels Ismar Manneberg und besteht aus fünf Fotoalben, die der Erzähler schon als Kind durchgeblättert und nicht verstanden hatte, zumal er die Sütterlinschrift damals noch nicht lesen konnte. Es sind Bilder aus dem ersten Weltkrieg.

Nach und nach blätterte ich die Alben durch. Ich suchte ein Photo, das seltsame, vom dem ich immer das Gefühl gehabt hatte, es wolle mich an etwas erinnern. Es steckte genau in der Mitte einer Seite, ein kleines Format, es war unscharf und verwischt, wie es aus der Bewegung aufgenommen:

Auf einem Tisch eine Kiste. Dahinter ein sitzender Mann, von dem nur Hals und Kopf zu sehen sind. Er schaut von oben in die Kiste, an die er sich nahe herangedrängt hat. Im Anschnitt rechts die Figur eines stehenden Mannes, seitlich von hinten, Kopf abgeschnitten.

Es war das einzige Bild, das keine Nummer trug, nur die Notiz Der Spiegelkasten.

Diesem Spiegelkasten begegnete der Großonkel zum ersten Mal, als er sich schwer verwundet und traumatisiert in einem Lazarett aufhält. Ein buddhistischer Arzt benutzt ihn in seiner Arbeit mit Amputierten, die unter Phantomschmerzen leiden.

Zwar wurde diese Erfindung erst in den 90er Jahre des letzten Jahrhunderts gemacht, wie der Autor im Nachwort schreibt, aber es zeigt seine Arbeitsweise: aus realen Versatzstücken eine realistisch wirkende, anschauliche Erzählung zu machen. Das gelingt ihm mit Präzision und großer Einfühlung, so dass ich gleich von einem weiteren Roman zu berichten habe.

19.07.2014