Sibylle Lewitscharoff: Pong

Was für ein grandioser Roman! Erzählt wird die Geschichte von Pong, einem Menschen, dem die Wirklichkeit verrückt worden ist, warum auch immer. Und so lebt er sein ihm selbstverständliches Leben in einer Welt, die von den Nicht-Verrückten als normal definiert ist. Und so stößt sich Pong sowohl an der normalen Welt wie auch an der, die für ihn normal ist. Und so wird auch erzählt von seiner Welt, als sei sie die normalste von der Welt. Da gibt es für den personalen Erzähler keine demonstrierte Distanz zu dem, was nicht der Norm entspricht, sondern – und das ist das Frappierende an der Geschichte – Pongs Welt ist genauso real wie die Welt, die wir für normal halten. Dabei verwickelt die Autorin die Leser wieder einmal in ihre Sprachmacht, in der immer neue und überraschende Sprachbilder erzeugt werden, um einem Zustand auf die Schliche zu kommen.

Es ist nicht ausdrücklich gesagt, wer das Richteramt über dem Gewissen ausübt. Pong hatte diesbezüglich gewisse Vermutungen, die er aber für sich behält. Ein Schraubstock spielt darin die Hauptrolle. Sobald er aber nur entfernt an einen Schraubstock denkt, möchte er gleich meilenweit davonschwimmen, und es bricht ihm, wohl um das Meer dafür zu bilden, aus allen Poren Schweiß aus. Ja […], Angst dreht die Flügelmutter der Folterwerkzeuge, in Satzstummel zerhackt sie die Rede, erzeugt einen Knacks im Gebein, macht einen stolzen harten Kack butterweich.

Getrieben ist Pong von immer neuen Ideen, mit denen er nichts weiter will als die Welt retten. Aber er unterzieht seine Ideen, von denen er manche auch ansatzweise in die Tat umsetzt, einer strengen Prüfung und muss immer wieder einsehen, dass seine hochfliegenden Pläne zum Scheitern verurteilt sind, wie er sich in seinen Gedanken und Selbstgesprächen immer wieder eingestehen muss.

Außerdem sind da Fehler. Gewaltige Fehler! Was soll der bürgerliche Aufzug? Der eingedellte Hut? Die blankpolierten Schuhe? Das gestärkte, von keinem Knitter verunzierte Hemd? Erkenne er, dass es Bürger zuhauf schon gab, obwohl es sie jetzt kaum noch gibt. Als es sie zuhauf noch gab, was geschah? Das Land ist ihnen zwischen ihren manikürten Fingern verrottet. Also gibt er, indem er verzweifelt das Bürgerchen spielt, sich die falsche Mühe. […]

Die Fingerspitzen klopfen einen hitzigen Takt auf die Tischplatte. Wirrsal und Trubel. Reue, Widerruf, Zorn. Umsonst das Feldgeschrei erhoben. Bitte einen Hammer, bitte einen Nagel, damit wenigstens ein Gedanke sicher eingeschlagen werden kann. Man haue ihn anschließend in Stücke, dann ist Ruh.

Kein Wunder, dass es für diesen Roman den Ingeborg-Bachmann- Preis gegeben hat. Ein Lesevergnügen mit einer entfesselten Sprache.

27. April 2014