Kate Pullinger: Eine Liebe in Luxor

Reise in die Vergangenheit

Von der Autorin habe ich noch nichts gehört, lese aber im Klappentext, dass sie gemeinsam mit Jane Campion die Autorin von „Das Piano“ ist.

Hier schlüpft siein die Rolle einer Zofe, die mit ihrer kranken englischen Lady im 19. Jahrhundert nach Ägypten reist, da das Klima der Lady zuträglich sein soll. Eine gute Zofe zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur eine verschwiegene und intime Dienerin ihrer Herrin ist, sondern darüber hinaus auch alle Ambitionen auf ein eigenes Leben aufgibt. Sally ist eine gute Zofe.

Ich bin Lady Duff Gordons Zofe; ich bin dreißig Jahre alt, ein hohes Alter für eine alleinstehende Frau. Ich schätze, ich bin vor ein paar Jahren zur alten Jungfer geworden, obwohl ich den genauen Moment, als dies geschah, nicht mitbekommen habe.

Die Reise ist ungewohnt und beschwerlich. Der Leser lernt wie die Protagonistin neue Begriffe. Einer ist Dahabije. Das ist ein kleines Schiff, mit dem die beiden Frauen den Nil befahren. Begleitet werden sie von einem Dragoman, Omar mit Namen, einem Übersetzer und Reiseführer.

Aber dieses Segelboot ist nicht wie die anderen Schiffe; dieses Boot ist unser Boot, diese Reise ist unsere Reise. Und im selben Augenblick wird mir klar, dass ich trotz der Ungewissheit, trotz der Krankheit meiner Lady und so fern der Heimat glücklich bin. Hier auf dem Nil im weißen ägyptischen Mondlicht bin ich glücklich.

Nun muss man sich vorstellen, in welcher Kleidung, der sichtbaren und der unsichtbaren, ehrsame englische Damen um 1860 auf Reisen gingen; sehr bedeckt und sehr geschnürt.

Eines Morgens, als ich das Zimmer meiner Lady betrat, war sie bereits auf den Beinen; […] An diesem Morgen hatte sie sich auch schon angekleidet.
„Das ist es“, verkündete meine Lady mit einer schwungvollen Pirouette, „das ist der Stil á la mode.“
„Lady Duff Gordon!, sagte ich, unfähig, ein weiteres Wort herauszubringen.
„Was meinst du?“, fragte sie und drehte sich noch einmal um sich selbst. Sie trug die merkwürdigste Kombination, die ich je gesehen hatte: eine ägyptische Hose – eine Männerhose aus brauner Baumwolle, weit geschnitten und an den Knöcheln gerafft -, eine weiße Tunika als Oberteil – eine schlichte Männertunika – und Sandalen an den nackten Füßen. Mehr nicht.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Komm schon, Sally. Wie sehe ich aus?“
Irgendetwas musste ich antworten. „Sie sehen aus wie ein gelehrter ägyptischer Scheich“, sagte ich.
Meine Lady presste die Hände zusammen und verbeugte sich feierlich. „Inschallah“, erwiderte sie. Dann sie ihr Tuch, legte es sich übers Haar und schlang es um den Hals. „Für die Schicklichkeit.“
Sie sah mich an. Du darfst lachen. Das ist schon in Ordnung.“
Ich stieß ein kurzes bellendes Lachen aus, mehr erlaubte ich mir nicht, aus Angst, nicht wieder aufhören zu können. „Es ist sehr … praktisch“, sagte ich. Unsere Strümpfe und Unterröcke hatten wir schon auf der Fahrt nilaufwärts abgelegt, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, noch weiter zu gehen, ganz gleich, wie heiß es werden mochte.
„Es ist so bequem“, erwiderte meine Lady. „Aber hier ist die wahre Offenbarung.“ Sie nahm ihr abgelegtes Korsett vom Diwan und schwenkte es in meine Richtung.
„Ihr Korsett!“, rief ich erschrocken und hätte mich hingesetzt, wenn es angemessen gewesen wäre.
Meine Lady öffnete ihre Reisetruhe, warf die Schnürbrust mit dem schweren Gestänge hinein und knallte den Deckel zu.

In Luxor finden die Damen und ihr Dragoman eine Villa und das Auf und Ab der Krankheit der Lady bestimmt das Leben. Sie lernen die Landessprache, gewinnen schnell Bekannte aus der Oberschicht und lernen die Dorfbevölkerung kennen.

Wir waren so entspannt und vertraut miteinander geworden; heute erkenne ich, wie außergewöhnlich das war und wie unerhört die Verschiebungen unserer Beziehungen zueinander für uns alle drei waren. Meine Lady hatte ihre Bediensteten immer gut behandelt; aber mittlerweile hatten wir die Förmlichkeiten zwischen einer Arbeitgeberin und ihren Angestellten hinter uns gelassen.

Auch zwischen Sally und Omar verändern sich die Beziehungen. Als Sally schwanger wird, verschweigt sie dies ihrer Lady. Das bleibt auch bei fortschreitender Schwangerschaft so, niemand bemerkt etwas, was einerseits der weiten ägyptischen Kleidung geschuldet ist, andererseits aber auch dem Blick, den man auf eine Angestellte wirft.

So ist Lady Duff Gordon zutiefst schockiert und verletzt, als sie zur Geburt gerufen wird. Dabei tut sie ihre Pflicht und hilft Sally, aber im selben Augenblick ist auch klar, dass das bisherige gemeinsame Leben zu Ende ist. Sie kündigt ihrer Zofe und bestimmt, dass der kleine Junge in die Familie Omars zu dessen erster Frau kommen und Sally den Rückweg nach England antreten soll, sobald sie reisefähig ist. Ihre Aufgaben muss umgehend Omar übernehmen. So bleibt Sally nur noch eine Frist, die sie jedoch nutzt, ihre eigenen Pläne zu machen.

Zunächst versucht sie in Kairo sich gemeinsam mit ihrem Sohn durchzuschlagen, muss aber einsehen, dass sie als alleinstehende Engländerin in diesem Land kaum eine Möglichkeit hat zu arbeiten und zu leben. So entschließt sie sich ihren Sohn der Familie ihres Mannes anzuvertrauen. Dort wird sie als zur Familie gehörig aufgenommen, aber ein eigenes Leben in dieser den Traditionen verpflichteten Familie kann sie sich nicht vorstellen. Sie besucht täglich ihren Sohn und findet eine Arbeit in einem Hotel. Als nach vier Jahren Lady Duff Gordon stirbt, überlegt Sally:

Ich habe allen Grund, sie zu hassen, immer noch. Aber das tue ich nicht. Ohne sie wäre ich nicht hier, in Kairo, der Stadt meiner Träume. Ich hätte Omar nie kennen gelernt, ich hätte mein Kind nicht bekommen. Doch das war nicht ihre Absicht, und es ist auch nicht ihr Triumph: Es ist meiner, ganz allein meiner.

Diese Geschichte der Menschwerdung einer Zofe wird ruhig erzählt, es findet keine überflüssige Dramatisierung statt. Die Sichtweise der Protagonistin ist genau und distanziert, dabei aber immer liebevoll und voller Neugierde auf die fremde Welt.

Nun könnte man denken, dass die Autorin sich eine wunderschöne Geschichte ausgedacht hat, aber das Nachwort zeigt, dass dem nicht so ist. Lady Duff Gordon hat wirklich existiert, sie ist bekannt geworden durch die Veröffentlichung ihrer „Letters from Egypt“. Auch eine Biographie (Katherine Frank: Lucie Duff Gordon: A passage to Egypt) gibt es, in der Omar und Sally auftauchen. Doch wird ihre Geschichte dort nicht erzählt. So ist dieser Roman entstanden nach vielen Nachforschungen, jedoch auch mit der Phantasie der Autorin.

28.12.2010