Daniel Kehlmann: F


Ach wie schön wäre es, wenn die Vorschriften zum Zentralabitur ein bisschen Luft ließen, so dass dieser Roman parallel zu Thomas Manns 'Mario und der Zauberer' gelesen werden könnte. Schließlich beginnt er mit den Worten:

Jahre später, sie waren längst erwachsen und ein jeder verstrickt in sein eigenes Unglück, wusste keiner von Arthur Friedlands Söhnen mehr, wessen Idee es eigentlich gewesen war, an jenem Nachmittag zum Hypnotiseur zu gehen.

Dieser Nachmittag in der Show des „großen Lindemann“ hat Folgen. Zunächst sind sie für die Familienmitglieder spektakulär: Ein Vater verlässt sowohl die Mutter seiner Zwillinge wie auch die Mutter seines dritten Sohnes. Auf die Lebenswege der Jungen ist der Einfluss erst später spürbar, als alle sich in einem Leben widerfinden, dem sie nicht gewachsen sind, aus dem es aber auch keinen Ausweg gibt oder zu geben scheint. In wechselnden Erzählperspektiven kommen alle zu Wort und erzählen ihre Geschichte: Der Kirchenmann, der seinen Glauben nie gefunden hat und der beim Essen die Widersprüche, die er lebt, nicht mehr spürt. Der Investmentberater, der das Geld seiner Kunden verzockt hat und dessen Lebensstil sich nur noch kurze Zeit aufrechterhalten lässt. Und schließlich der Maler, der zwar einer ist, aber nicht so auftreten darf, will er sein Geheimnis wahren.

Diese drei Erzählstränge überlagern sich und ergeben ein Panorama einer Gesellschaft, in der der Betrug zum Normalfall wird. Herrlich ironisch werden die Mechanismen des Kunstbetriebs zelebriert und selbst der Gläubigste wird demnächst bei der Beichte die Ohren spitzen, ob da nicht auf der anderen Seite gerade verächtlich geschnaubt oder Schokolade gegessen wird. Dass bei Geldanlagen nicht die Interessen der Kunden im Mittelpunkt stehen, ist schon fast ein Gemeinplatz.
Umso schwieriger ist es, daraus einen fesselnden Roman zu machen. Und das ist hier wunderbar gelungen. Jeder Protagonist hat seine eigene Sprache und Empfindungsweise, die eineiigen Zwillinge, die ihre Ichs kaum voneinander abgrenzen können ebenso ihr verfressener predigender Halbbruder oder die zehnjährige Tochter eines der Zwillinge.

Das alles ist durchaus vergnüglich zu lesen. Aber ich habe auch den leisen Verdacht, dass der Autor mehr auf die ironische Pointe setzt, als den Leser mitzunehmen auf eine etwas gedankenschwerere Reise durch unsere Welt der neudeutschen fakes oder auch zum F, das für Fatum stehen könnte:

„Fatum“, sagte Arthur, „Das große F. Aber der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war. Irgendein Zufallsschicksal.

Vielleicht hat da ja der immer wieder auftauchende Hypnotiseur seine Hand im Spiel.

19.10.2013