Irène Némirovsky:
Die Familie Hardelot

Den Namen der Autorin habe ich vor einiger Zeit in nahezu euphorischen Lobgesängen gehört und so habe ich nicht gezögert, den gerade erschienen Roman zu kaufen. Aber diesmal gab es kein einziges Eselsohr, mit dem ich die Stellen markiere, die mit besonders auffallen, die das Charakteristische im Stil des Romans anschaulich machen. Seltsam hölzern und schablonenhaft kamen mir Handlung und Personen vor.

Da ist das dünkelhafte dörfliche Großbürgertum, das sich in den feinen Unterschieden der Soziallagen auskennt und sein Leben unbeirrt an den Traditionsgesetzen ausrichtet. Aber wenn mir das so überdeutlich und scherenschnitthaft vorgesetzt wird, wenn so mit dem Finger auf die Bösen gezeigt wird, dann wirkt das wie eine Karikatur, hinter der die Menschen in ihrer Lebendigkeit und Widersprüchlich verschwinden.

Immer wieder beschlich mich beim Lesen der Gedanke, dass die Autorin das gleiche Schicksal hat wie der von mir hochgeschätzte Sándor Márai. Auch seine Romane wurden im letzten Jahrzehnt wiederentdeckt und für den Verlag ein großer Erfolg. Das führte dazu, dass auch Werke aus dem Nachlass veröffentlicht wurden, die entweder noch nicht fertiggestellt oder ausdrücklich nicht für die Veröffentlichung gedacht waren (zB „Die Befreiung“). Dadurch gerät ein Autor in ein zwiespältiges Licht und er kann sich nicht mehr wehren. Aber der Verlag macht Geld.

28.12.2010