Jonathan Franzen: Freiheit


Über diesen Roman haben sich alle einschlägigen Literaturkritikseiten ausgelassen, wie man bei Perlentaucher nachlesen kann. Kein Wunder, wurde die Fangemeinde des Autors der „Korrekturen” doch medial auf das Erscheinen des neuen Romans eingeschworen mit zahlreichen Titelgeschichten, Interviews und Reportagen. Hier könnte man schön nachsehen, wie man einen Bestseller macht.

Das Wichtigste vorab: Der Roman ist zu schwer. 985 Gramm bringt er auf die Waage. Das ist eindeutig zu viel für eine Bettleserin wie mich.

Nun könnte besseres Papier für Erleichterung sorgen, aber auch das würde die seltsam zwiespältige Lektüre nicht eindeutiger machen.

Im ersten Teil des Romans rennt der Autor mit einer unglaublichen Geschwindigkeit durch das Leben eines amerikanischen Mittelstandsehepaars, so dass die geneigte Leserin sich fragt, was denn los ist mit dem doch eher zu Übergenauigkeit neigenden Autor. Doch das klärt sich schnell: die Geschichte wird gleich noch einmal erzählt, diesmal durch eine Protagonistin, die sie als ihr ureigenes Erleben wiedergibt. Dann schaltet sich wieder der Erzähler ein und sieht nun genauer auf das Erleben anderer Protagonisten. So weit, so gut. Und während des Lesens nimmt der Text auch gefangen, er erzählt von den Fährnissen der Liebe und der Verführbarkeit, der sexuellen wie der zur Lebenslüge. Aber wenn ich das Buch dann schließe, bleibt neben der Feststellung, dass ich dem namedropping all der angesagten Kleidungsmarken und ~stile nicht folgen kann, doch eher Ratlosigkeit. Hier wird soviel erzählt, so all den Verästelungen der Gefühle nachgespürt, dass der Schein erweckt wird, alles sei erklärbar, man müsse nur genau genug hinsehen. Was mir hier fehlt, ist der Umschlag von der Quantität der Einzelheiten in eine Qualität der Erfahrung.

Dass die Freiheit im entwickelten Kapitalismus ein zweischneidiges Schwert ist, hat Richard Sennett in „Der flexible Mensch” dann doch überzeugender dargelegt.

Nun ja, eine Lektüre für erkältete Zeiten, der etwas benebelte Kopf wird angenehm unterhalten und im Hintergrund lächelt Tucholsky: „Ja, ja, diese potztausigen Amerikaner.”

Dienstag, 12. Oktober 2010