Stephan Thome: Fliehkräfte

Fliehende Kräfte

Wenn ein Professor der Philosophie an der Bonner Universität die Hauptfigur ist und dann auch noch Hainbach heißt, muss der Roman mit.

Es werden viele Geschichten erzählt in dieser Geschichte. Die einer Ehe, die nach vielen Jahren nicht mehr erwartungsgemäß funktioniert. Die einer Vater-Tochter-Beziehung, die nach vielen Jahren Überraschungen und Verstörungen bietet. Die eines Road-Movies, das den Protagonisten von Nord nach Süd führt. Die eines Professors, der mit dem Bologna-Prozess und dem universitären Veröffentlichungszwang seine Probleme hat. Die eines ehemaligen Doktorvaters. Die eines Bruders und Sohnes und und und. Jede dieser Geschichten führt dazu, dass der mittelalte Herr Professor allmählich erfährt, dass er weder an seinem eigenen noch am Leben der ihm nächsten Menschen jemals sonderlich viel Anteil genommen hat. Er hat funktioniert und er glaubte auch, dass sein Leben funktioniert.

Als er sich in seinem Einfamilienhaus in Godesberg allein findet, weil seine Frau in Berlin eine Arbeit gefunden hat, wird ihm klar, dass er sein Leben mit einer sehr engen Perspektive geführt und betrachtet hat. Die versucht er nun mit Hilfe des Blickwinkels anderer zu erweitern.

Der Roman bewegt sich auf zwei Ebenen. Die aktuelle Verunsicherung, deren er sich auf seiner Reise bewusst wird, ist die eine, die andere besteht aus den zahlreichen Rückblicken auf Augenblicke der eigenen Biographie, die Wendepunkte darstellten.

Das alles könnte einen spannenden Roman ergeben. Aber meine Begeisterung bleibt doch sehr verhalten, weil kaum eines der angeschnittenen Themen ausgereizt wird. (Wenn dieser Mensch schon Philosoph ist, warum erfahre ich dann erst auf Seite 311, was sein Fachgebiet ist?) Dabei ist Thome ein sehr sprachmächtiger Erzähler, der sich auf die Schilderungen von Umwelten hervorragend versteht. Aber es kommt kein Erzählstrom zustande, sondern eher ein kunstvoll akribisches Aneinanderreihen, so dass in der Genauigkeit der Einzelheiten das Lebendige zu ersticken scheint.

25.11.2012