Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen


Es ist schon eine Weile her, dass ich dieses wunderbare Buch gelesen habe. Glücklicherweise war mir die Ausgabe mit den Bildern in die Hände gefallen.

Der Autor ist Keramiker, als er Ende der 90er Jahre eine Sammlung von Netsuke erbt. Das sind alte kleine geschnitzte Figuren aus Japan, die sich seit vielen Jahren im Besitz seiner Familie befanden.

ls diese Kunstwerke in sein Leben kommen, verändert sich vieles für ihn. Ihm wird klar, dass er fast nichts weiß von den Generationen vor ihm. Er macht sich auf die Suche.

Die Geschichte seiner Familie beginnt in Odessa mit Charles Joachim Ephrussi.

[Er] hatte durch Weizenaufkäufe in großem Maßstab aus einem kleinen Getreidehandel ein riesiges Unternehmen gemacht.

Seine Söhne schickt er mit ihren Familien nach Wien und Paris, wo sie die Anliegen der Firma vertreten, einer Firma, die in einem Atemzug mit den Rothschilds genannt wurde.

Etliches vom märchenhaften Reichtum der Familie fließt in die Kunstsammlungen, die einer der Söhne anlegt. So kommen auch die Netsuke in den französischen Teil der Familie Ephrussi. Nach dem Tode des Sammlers wandern sie als Hochzeitsgeschenk nach Wien in eines der prächtigen Ringstraßenpalais. Und dort bleiben sie auch, als die jüdische Familie enteignet und vertrieben wird. Es ist die Köchin der Familie, die die Kostbarkeiten schließlich in ihrer Schürze aus dem nun von den Nazis beherrschten Palais hinausbringt und sie der Familie wieder zukommen lässt.

Das ist eine lange Geschichte, die Edmund de Waal zusammenträgt. Er hat sie in Bibliotheken und Archiven erlesen und auf Reisen durch Betrachtung der steinernen Reste gewonnen. In der Art, wie er uns Leser an dieser Familie Anteil nehmen lässt, liegt das Besondere dieses Buches. Im Vorwort beschreibt de Waal, was für ihn in seiner Arbeit als Töpfer wichtig ist. Und genau diese Haltung hat auch sein Schreiben bestimmt:

Melancholie, denke ich, ist eine Art gedankenlose Verschwommenheit, eine Ausstiegsklausel, ein erdrückender Mangel an Bildschärfe. Und dieses Netsuke ist eine kleine, unverwüstliche Einladung zur Genauigkeit.

Das alles ist wichtig, denn meine Arbeit besteht darin, Gegenstände herzustellen. Für mich ist es nicht nebensächlich, wie Objekte angefasst, benutzt und weitergegeben werden. Das ist mein Thema. Ich habe Tausende, Abertausende Gefäße gemacht. Bei Namen bin ich nicht gut, ich stottere herum und rede herum, bei Gefäßen aber bin ich gut. Ich kann das Gewicht einer Töpferei im Kopf behalten, ihre Ausgewogenheit, die Art, wie die Oberfläche sich zum Rauminhalt verhält. Ich kann lesen, wie ein Rand Spannung aufbaut oder verliert. Ich kann spüren, ob das Gefäß hastig oder mit Sorgfalt hergestellt wurde. Ob es Wärme besitzt.
Ich kann sehen, wie es sich zu den Objekten verhält, die in seiner Nähe stehen. Wie es ein kleines Stück Welt um sich herum verdrängt.

Dieser behutsame und präzise Umgang mit den Gegenständen prägt auch die Geschichte der Netsuke und macht sie zu einem Kunstwerk.

26. Januar 2014