Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini

Alle Romanzutaten sind vorhanden, aber trotzdem ist es keiner geworden.

Den Autor bewundere ich seit der Lektüre von „Schuld“ und „Verbrechen“. In beiden Bänden hat er in kurzen Texten seine Erfahrungen als Strafverteidiger in glasklarer Sprache und zwingender Erzählstruktur dargelegt. So waren die Erwartungen an seinen ersten Roman hoch.

Herausgekommen ist ein handwerklich sauberes Stück Prosa, das jedoch als Erzählung nicht fesseln kann. Erzählt wird die Geschichte eines späten Mordes; der seit vielen Jahren in Deutschland lebende Italiener Fabrizio Collini ermordet einen alten Unternehmer. Zu den Gründen schweigt er. Und so bedarf es eines jungen Anwalts, der klug und zäh sich des Falls annimmt. Überflüssigerweise hat er auch noch einen persönlichen Bezug zu dem Ermordeten und seiner Familie. Dieser Kunstgriff ist völlig überflüssig, weil die Liebesgeschichte einfach nur hölzern daherkommt.

Und trotzdem war die Lektüre lohnend und spannend. Und zwar immer dann, wenn es um das Recht geht. Da hat der Autor mit klugen Einsichten aufzuwarten. Und so ist auch die Lösung des Falles in den Fallstricken der Judikative zu finden. Ein kleines unscheinbares Gesetz, für das sich niemand in der Gesetzgebungsphase interessiert hat, hat dafür gesorgt, dass die Nazi-Mörder 1968 zu Totschlägern erklärt wurden, deren Taten verjährt waren:

Die Täter kamen frei. Stellen Sie sich vor: Zur gleichen Zeit (1968) wurde in Berlin von der Staatsanwaltschaft ein gewaltiges Verfahren gegen das Reichssicherheitshauptamt vorbereitet. Als das EGOWiG (Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz) erlassen wurde, konnten die Staatsanwälte ihre Sachen wieder einpacken. Die Beamten in diesem Amt, die die Massaker in Polen und der Sowjetunion organisiert hatten, die Männer, die für den millionenfachen Tod von Juden, Priestern, Kommunisten und Roma verantwortlich waren, konnten nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Drehers Gesetz war nichts anderes als eine Amnestie. Eine kalte Amnestie für fast alle.

Pikanterweise wurde das Gesetz von einem ehemaligen Ersten Staatsanwalt am faschistischen Sondergericht Innsbruck erlassen, der seit 1951 im Bundesjustizministeriums tätig war, vorher jedoch das eine oder andere Todesurteil gefordert hatte.

Immer dann, wenn Schirach sich diesem Teil der Wirklichkeit zuwendet, ist er bestechend klar und über die Maßen spannend. Er sollte die Romanverkleidung ablegen und weiterschreiben.

04.10.2011