Sibylle Lewitscharoff - Apostoloff

Was für ein herrlich böser Roman voll bizarrer Einfälle - und doch auch ein Versuch der Selbstbehauptung.

Wir begleiten die Ich-Erzählerin und ihre Schwester auf ihrem Weg durch Bulgarien, die Heimat ihres Vaters, der vor vielen Jahren seinem Leben selbst das Ende gesetzt hatte. Dieses Trauma begleitet das Leben, die Wahrnehmung und die Urteile der beiden Frauen. Sie lassen sich auf die seltsame Idee eines Bulgaren ein, der sich verstorbenen Kameraden aus allen Teilen der Welt exhumieren und in Sofia beisetzen lassen will. Geld spielt dabei keine Rolle und die Verwandten der Toten werden durchaus auch mit ansehnlichen Summen überzeugt, der Aktion zuzustimmen und sie auch zu begleiten. Und so bewegt sich eine Kavalkade von Staatskarossen in Richtung Sofia. Nach der wiederholten Beisetzung unternehmen die Schwestern noch eine Rundreise unter der Führung des titelgebenden Rumen Apostoloff. Kaum etwas findet Gnade in den Augen der Erzählerin, weder die kommunistische Vergangenhheit, die mit ihren architektonischen Hinterlassenschaften das Bilder der Städte und Landschaften immer noch bestimmt, noch die Gegenwart, die eher mafiös als demokratisch erscheint, vor allem aber eben bulgarisch.

Den Bulgaren ist die Pflege geheimer Gehirngeburten eine Lust wie eine Pflicht.

In dieser Hinsicht ist die Ich-Erzählerin durchaus als bulgarisch anzusehen. Sie lässt uns teilhaben an ihren ganz eigenen Gehirngeburten, ihren streitenden Zwiegesprächen mit dem toten Vater, an ihren Vorstellungen über den Himmel, wo es auch nicht eben freundlich zugeht. So sieht sie ihre Welt:

Vielleicht zieht mich das Häßliche an, weil ich unaufhörlich nach Beweisen suche, wie verrottet und verderbt die Welt ist. Das Häßliche zog mich zuerst nach links und die anderen hinter mir drein. Da standen zuhauf herum, unangenehm weiße Marmorblöcke, lauter neu geschaffene Heldenmonumente, die aber noch keinen passenden Friedhof gefunden hatten, wie wir von Rumen erfuhren. Jeder Marmorblock ein Grabstein für einen bulgarischen Helden, wobei diese Steine mehr der Verspottung als der Verehrung dienten, so roh, wie die Blöcke ausgesägt, so dilettantisch, wie die Schriftmulden ausgefräst waren. Das fransig aufgetragene Buchstabengold wirkte geradezu erschütternd lächerlich.

Es ist wunderbar, den Tiraden der Autorin zu folgen, findet sie doch immer wieder neue Wege, ihrer Suche nach dem Hässlichen sprachmächtig immer neue Fundstücke zu unterbreiten. Das ist politisch herrlich unkorrekt und vergnüglich zu lesen. Trotzdem stellt sich im Laufe der Lektüre die Frage ein, ob die bulgarische Katastrophe nicht überdehnt wird (es gibt auch Schönes, aber das ist dann meist thrakisch). Und es braucht (jedenfalls für mich) buchstäblich bis zum letzten Satz, um zu begreifen, dass der durchaus fröhliche Hass, der in diesem Roman gefeiert wird, kein literarischer Selbstzweck ist, sondern eine Überlebensnotwendigkeit.

22.01.2014