Birgit Vanderbecke: Das lässt sich ändern

Von der Utopie in die Wirklichkeit

Schade, dass dieser neue Roman wieder so kurz geraten ist.

Der Titel ist Wahlspruch und Handlungsleitschnur von Adam Czupek, der die Worte nicht sehr schätzt. Sie haben ihm nicht geholfen, sein Leben zu meistern, war seine Mutter doch eine Meisterin der unendlich perlenden Satzfolgen, in denen sich ihre Verrücktheit manifestierte. Nach Ansicht der Ich-Erzählerin war Adam immer ‘draußen’, außerhalb des Mainstreams der Gesellschaft, innerhalb dessen sie selbst geschützt wie in einem Kokon das normale Leben einer behüteten Tochter auf dem Weg durch die vorgezeichnete Schul- und Universitätsbahn gehen konnte.
Erstaunlicherweise funkt es nicht nur zwischen den beiden, sondern es entsteht etwas Neues, eine Beziehung mit und für Hand und Kopf.
Dass daraus kein kitschiges Sozialmärchen wird, dafür sorgt die eigentümliche, freche und kluge Sicht- und Sprechweise der Autorin, die sie der Ich-Erzählerin leiht. Dazu ein Beispiel, auch wenn ich hier fast den ganzen Roman als Beispiel zitieren möchte:

Meine Eltern hatten noch von früher her alles von Bertolt Brecht und dachten, dass Brecht zur Bildung und Kultur gehört und sie ihn deshalb gut finden müssten, nicht so gut natürlich wie die Festspiele in Bayreuth, zu denen sie jedes Jahr fuhren, aber immerhin doch ganz gut, weil er damals noch zur Kultur gehörte, und als ich den Tisch fürs Kaffeetrinken deckte, fing ich an, die Ballade von der Hanna Cash zu summen. Sie kamen sich näher zwischen Wild und Fisch, sie gingen vereint durchs Leben, sie hatte kein Bett, und sie hatten keinen Tisch; ich sang den Text nicht mit, sondern summte nur die Melodie, aber meine Eltern kannten die Ballade natürlich, es blieb die Hanna Cash, mein Kind, bei ihrem lieben Mann; und meine Eltern hörten, dass ich so frei sein würde, mir Adam mitsamt dem Dreck an seinen Händen von ihnen nicht austreiben zu lassen, auch wenn das Leben möglicherweise schwer und gefährlich würde, und es ist ganz entschieden etwas anderes, die Ballade gut zu finden, solange sie vom Plattenspieler kommt und Kultur ist, Lotte Lenya singt Bertolt Brecht, aber wenn die eigene Tochter einem solche Leute wie Adam Czupek ins Haus schleppt, merkt man, dass Kultur etwas anderes ist als das wirkliche Leben, in dem ein künftiger Schwiegersohn bitte im Besitz von Tisch, Bett, und Bausparvertrag sein und darüber hinaus nach Rasierwasser duftend, mit sauberen Fingernägeln un in Anzug und Krawatte zur Vorstellung erscheinen sollte, familiär gut gepolstert und mit Vitamin B versorgt.

Das ist wieder einmal Vanderbecke at her best: in einer kleinen, ganz naiv daherkommenden Geschichte wird ebenso böse wie unschuldig das Mittelstandsgebaren entblößt, die unverdauliche Mischung von Brecht und Wagner in ihren Mägen und das kulturferne Standesbewusstsein in den Köpfen mit dem Summen einer alten Ballade deutlich gemacht.

Natürlich geht sie gut, die Geschichte von Adam und seiner Frau, der Tochter aus gutem Haus, auch wenn es am Anfang gar nicht danach aussieht. Aber es gibt einige Zufälle, die die Rahmenbedingungen des Leben betreffen, es gibt Freunde, die Ideen haben, die ein Haus erben, es gibt einen alten Bauern, der noch genug Energie hat, noch einmal etwas Neues anzufangen und schon sind wir mitten drin in der realistischen Utopie von einem gelingenden Leben. Aber dazu braucht es einen Adam Czupek, der weiß, dass es ein Leben gibt draußen, außerhalb der Welt der Werbung und des Konsums, des Profits und der Flüchtigkeit.

08.05.2011