Georges Simenon: Drei Zimmer in Manhattan

In der Diogenes Bibliothek sind die Romane von Simenon in neuen Übersetzungen in den letzten Jahren erschienen. Wie schön! Und eine Gelegenheit, nach vielen Jahren wieder ein Buch dieses erstaunlichen Autors in die Hand zu nehmen.

Für mich ist Simenon der Meister der ersten Sätze:

Um drei Uhr morgens war er entnervt aus dem Bett gesprungen, hatte sich angekleidet und wäre – wie manche Leute, die abends oder frühmorgens ihren Hund spazierführten – um ein Haar ohne Krawatte, in Pantoffeln und mit hochgeschlagenem Mantelkragen auf die Straße gegangen.

Dieser 'Er' ist ein französischer Schauspieler, der sich nach einer Scheidung für eine Weile in NY aufhält. Nachdem er fluchtartig seine Wohnung verlassen hat, trifft er zufällig eine Frau, die sich in einer prekären Situation befindet. Die beiden bleiben in dieser Nacht und den nächsten Nächten und Tagen zusammen. Und nun folgt der Erzähler den widersprüchlichen Empfindungen, denen sich der Protagonist ausgesetzt sieht. Der immerwährende Zweifel nagt an ihm, ob er gemeint ist, wenn die Frau von Liebe spricht. Wäre sie in ihrer Situation nicht jedem gefolgt, der ihr Schutz angeboten hätte? Stimmen ihre Geschichten von ihrer Vergangenheit als Ehefrau eines ungarischen Botschafters? Zur rosaroten Brille der Verliebtheit ist er nicht fähig. Er ist gezeichnet davon, dass seine Frau ihn verlassen hat. Das macht ihn selbstgerecht und manchmal auch brutal. Kurze Phasen von tiefer Zuneigung wechseln mit genauso tiefen Zweifeln. Als das Paar sich für einige Zeit trennen muss, erlebt er ein inneres Chaos, denn er kann der Liebe, die diese Frau für ihn empfindet, nur minutenweise glauben. Es dauert lange, bis er begreift, dass Liebe nicht nach Gegenleistung fragt.

Es ist die Präzision, mit der Simenon seine Figuren und die Atmosphäre auslotet, die mich heute wie vor dreißig Jahren in den Bann zieht.

24. Febraur 2014