Ian McEwan: Amsterdam

„Von der Brüchigkeit der Selbstbilder“ könnte der Untertitel zu diesem wunderbar bösen Roman lauten. Sie haben Karriere gemacht, der Chefredakteur und der Komponist, die irgendwann einmal in früherer Zeit die Welt verbessern wollten. Nun sind sie beseelt von der eigenen unvergleichlichen Großartigkeit. So fühlt sich der Redakteur völlig im Recht, als er beabsichtigt, kompromittierende Fotos des Außenministers in die Zeitung zu bringen. Er sieht sich als Retter Englands und ist entsetzt, als der Komponist ihm vorhält, dass diese Bilder in einer geschützten intimen Situation entstanden sind und er deshalb kein Recht habe, dieses Vertrauen zu brechen. Erscheint der Komponist hier noch als Inkarnation des Humanen, begleiten wir ihn kurz später auf eine Bergwanderung, bei der er der Ahnung einer kompositorischen Idee lieber nachgeht, als einem Menschen in Not zu helfen. Selbstzweifel an seinem Handeln drängt er leicht zur Seite, denn schließlich steht das künstlerische Genie weit über den Dingen des Alltags. Leider entspricht die Wirklichkeit nicht den Vorstellungen der Protagonisten. Die Bilder kommen zwar in die Zeitung, aber der Chefredakteur verliert seine Zeitung. Zwar kommt es zu Proben des Konzerts in Amsterdam, aber die Musiker sind etwas befremdet, eine leicht abgewandelte Version der ‚Ode an die Freude‘ von Beethoven auf ihren Notenblättern zu finden. Und so kommt es in einem Amsterdamer Hotel zum Showdown, der hier nicht verraten wird.
Eine boshaft vergnügliche Lektüre, denn der Autor hat obigen Untertitel natürlich nicht verwendet, sondern schickt den Leser auf die Reise, allmählich die Brüchigkeit der Charaktere zu entdecken, über deren Selbstbild zu lächeln und die leise Frage nicht unbeantwortet zu lassen, wie es denn mit dem eigenen Selbstbild so aussieht.

24. Februar 2014