Hans Fallada: Der Alpdruck


Einerseits: der Verlag will offensichtlich nach dem großen Erfolg mit der Neuauflage des Romans ‚Jeder stirbt für allein‘ nachlegen und veröffentlicht nun alles, was es von Fallada noch gibt, auch diesen Roman, der nach Ansicht des Autors selbst nicht gelungen war. Andererseits: während der Lektüre steigt die Achtung von diesem Menschen, der sich seinen letzten Roman mit seiner letzten Kraft abgerungen hat.

Aber der Reihe nach. Der Roman spielt unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht Dr. Doll, ein Schriftsteller Mitte fünfzig und seine bedeutend jüngere Frau. Und dieser Dr. Doll, nomen est omen, erscheint grenzenlos naiv und der politischen Dimension seines Lebens kaum bewusst. Warum das so ist, wird allmählich klar. Er hat die Jahre des herrschenden Faschismus zum großen Teil von Drogen vernebelt verbracht. Dabei ist er sich dessen, was um ihn herum geschieht, durchaus bewusst, weiß, was gut und böse ist, bleibt aber gefangen in der Lethargie des Rauschs. Nach einer kurzen Episode als von der russischen Besatzungsmacht eingesetzter Bürgermeister einer kleinen Stadt folgt der Absturz, gemeinsam mit seiner Frau.

Kurze Zeit darauf wurde der Bürgermeister Doll sehr krank; nun war er kein Bürgermeister mehr. Seine Frau, auch krank, fuhr mit ihm ins Kreiskrankenhaus.

Danach gehen beide nach Berlin, wo sie noch eine Wohnung haben, in der aber nun andere Menschen leben. Auf ein Zimmer reduziert beginnt nun die ständige Jagd nach Betäubungsmitteln.

Sie hatten jetzt ziemlich viele Ärzte; aber keiner durfte vom anderen wissen. Manchmal, wenn Alma mehrere zum Abend bestellt hatte, bekam sie es mit der Angst zu tun, sie könnten sich treffen und es könnte herauskommen, wie viele Spritzen sie jeden Abend bekam. Aber es ging immer gut. Sie bekam meist sehr viele Spritzen, er ging fast immer leer aus, aber sie sorgte gut mit Schlafmitteln für ihn. Wenn die Ärzte kamen, musste er sich anziehen und den gesunden Gatten spielen. Er kam sich jetzt selbst oft wie ein Gespenst vor, wenn er da saß und höflich über den Zustand seiner kranken Frau sprach.

Es folgt ein Sanatoriumsaufenthalt, nicht der erste und auch nicht der, nach dem er geheilt sein wird, auch wenn der zweite Teil des Romans '‚Die Gesundung‘ überschrieben ist. Aber eine Besserung seines körperlichen Zustands tritt ein und damit öffnet sich auch allmählich sein Blick für die Welt, in der er lebt. Seit er in Berlin war, hatte er davon nicht mitbekommen. Aber nun liest er zum ersten Mal Zeitungen.

Als Doll an diesem Abend, in dieser Nacht das letzte Zeitungsblatt aus der Hand gelegt, sich auf die Couch gebettet und das Licht gelöscht hatte, brauchte er keinen feigen Robinsonphantasien, um sich die Zeit bis zum Einschlafen zu kürzen. Sondern wieder und immer wieder zog alles, was er gelesen, durch sein Hirn, und je öfter er sich wiederholte, was alles schon erreicht worden war, umso unbegreiflicher schien es ihm, dass er bei alledem tatenlos, missgünstig, leer beiseitegestanden hatte. Bis in seinen späten Traum hinein verfolgten ihn diese Vorwürfe.

Durch einen glücklichen Zufall trifft Doll auf einen Verleger, der ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglicht, ihn aber damit nicht von weiteren Abstürzen in die Sucht retten kann, auch wenn der Roman versöhnlich endet.

Die Parallelen zum Leben des Autors sind nicht zu übersehen. Davon zeugt nicht nur die Biographie des Autors, sondern auch der Nachruf von Johannes R. Becher, der im Anhang abgedruckt ist. Ich fand es erschütternd zu lesen, wie der mir immer als politisch und gesellschaftlich wacher Autor mit einem scharfen Blick für die Strukturen der Gesellschaft und ihrer Ökonomie in seinem vorletzten Roman mit einer riesigen Anstrengung ins Leben zurückschreiben musste.

Also einerseits: kein besonders gelungener Roman besonders in der Schilderung der Menschen um den Dr. Doll herum, die eher Schatten gleichen, andererseits ein tief bewegender Blick auf diesen Autor.

19.08.2014