Leon der Winter: Ein gutes Herz

Wie schön, endlich ein neuer Roman von Leon de Winter! Und es ist tatsächlich wieder ein augenzwinkerndes Vergnügen, den verschlungenen Wegen seiner Protagonisten zu folgen, deren einer Leon de Winter heißt. Der ist – welch ein Zufall - ein Schriftsteller und ein nicht sonderlich sympathischer dazu, oder vielleicht doch nur ein Schlitzohr, das eine Rede für einen Politiker schreibt und selbige Rede am nächsten genüsslich in einer Rezension durch den Kakao zieht? Aber ein Leon de Winter muss sein, wenn der Hauptprotagonist Theo van Gogh heißt, genauer: Theo van Gogh SE. Dieses SE steht für 'Schutzengel‘, eine Rolle, die dem toten Theo zunächst gar nicht stehen will, der nach etlichen Jahren ein fast aussichtsloser Fall für die Himmelsbürokratie geworden war. Schließlich wird er vor die Wahl gestellt, wer sein irdischer Kommunikationspartner sein soll. Ein Vorschlag lautet: Leon de Winter.

„Niemals“, sagte Theo.
Ein Scharlatan. De Winter war ihm auf den ersten Blick zuwider gewesen. An die zwanzig Jahre lang hatte er gegen ihn gehetzt. In beleidigenden Kolumnen, die de Winter psychisch fertigmachen und zum Schweigen bringen sollten. Als Theo zur offiziellen Feststellung der Todesursache auf einem Seziertisch geöffnet wurde, hatte de Winter scheinheilig geschrieben, das hätte er ihm nicht gewünscht. Dabei wusste Theo ganz genau, dass de Winter im Grunde seines Herzens darüber frohlockte. Mit dem kommunizieren? Lieber in die Hölle!“

Also bekommt er einen anderen Kommunikationspartner zugewiesen. Und ganz am Ende zeigt sich, dass jener Max Kohn ihn auch dringend braucht.
Aber bis es soweit ist, muss ein Vater seinen Sohn finden, Leon de Winter von seiner Frau und seiner neuen Liebe verlassen werden, gibt es eine marokkanische Fußballmannschaft, die einen terroristischen Coup durchzieht und Amsterdam in Angst und Schrecken versetzt, lässt das Herz eines Franziskaners, der die Liebe zu sehr liebte, einen Verbrecher weiterleben, der wiederum verantwortlich für den Tod des Vaters seiner damaligen Geliebten war. Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig, denn es gibt noch einen vermittelnden Anwalt, über den viele Kommunikationsfäden laufen, den Mörder van Goghs, einen Bürgermeister, einen hohen Ministerialbeamten, einen unerklärlichen Lichteffekt und vieles andere mehr.

Es geht also so turbulent zu wie in den meisten der Romane de Winters. Und immer behält der Autor die Figuren und ihre Aktionen wie ein Jongleur in der Luft. Dabei gehen die Lust am Fabulieren und ein kritischer Blick auf die (niederländische) Wirklichkeit eine untrennbare Verbindung ein. Und dass er diesmal auch genau weiß, wie es im Himmel und mit den Toten zugeht, schmälert das Lesevergnügen durchaus nicht. Und so ist es dann auch Theo, der sich in einen Traum de Winters begibt:

„Was willst du denn, Mister Möchtegern? Du suchst doch nach einer Möglichkeit, wie du mich in deinem Buch unterbringen kannst, oder? Als ich das heute Mittag hörte, dachte ich: Sieh mal einer an, erst das Jude-Sein ausschlachten, dann den toten Theo.“
„Du kannst mir nicht den Vorwurf machen, ich sei inkonsequent.“
Van Gogh grinste. „Sinn für Humor hast du, Schreiberling. […]Was hältst du davon … wenn du mich als Engel beschreibst?“

Das ist Chuzpe, diese hinterhältige späte Weihe, die er Theo von Gogh hier zukommen lässt.
Wer für diese Art von Humor einen Sinn hat, wird sich wunderbar unterhalten fühlen.
Und dann gibt es auch noch den Titel, der genauso hinterhältig ist. Ist es etwa Theos Herz, das zum Guten mutiert? Dabei hat der arme Theo doch nur seinen Kopf in seiner himmlischen Existenz. Oder ist es vielleicht doch das weiterlebende Herz des liebenden Franziskaners, das die Brust des ehemaligen Drogenbosses nun freundlich erzittern lässt?

3. September 2013