Florian Illies: 1913

In zwölf Kapiteln – von Januar bis Dezember - werden hier die Kultur, Politik und Wissenschaft des letzten Friedensjahres vor dem ersten Weltkrieg entfaltet. Das bietet manche neue Facette zu den zahlreichen bekannten Namen, die hier auftauchen, aber das ist eher eine Randerscheinung. Überraschend ist für mich viel eher die Art und Weise, wie der Autor all seine Fundstücke aus diesem Jahr präsentiert: mit leicht ironischer Distanz, aber immer auch mit Respekt oder nötigenfalls auch mit Abscheu behandelt er all die Menschen mit den großen Namen.

Wenn wie in einem Kaleidoskop Menschen und Vorgänge in immer neue Zusammenhänge und Muster gebracht werden, so werden doch Grundlinien immer wieder deutlich: Der Bruch mit dem Alten und die Verwundungen durch die umherfliegenden Splitter, der überall geführte Kampf um das kleine und das große Glück und seine Zerbrechlichkeit.

Jeder Monat wird mit einer kurzen Zusammenfassung eingeleitet, für die die des Juni hier ein Beispiel geben soll:

Das ist der Monat, in dem klar wird, dass es nie zu einem Krieg kommen kann. Georg Trakl sucht seine Schwester und Erlösung von der Verdammnis, Thomas Mann nur seine Ruhe. Franz Kafka stellt eine Art Heiratsantrag, der schiefgeht. Er hat ihn mit einem Offenbarungseid verwechselt. D.H. Lawrence veröffentlicht „Söhne und Liebhaber“ und brennt mit der dreifachen Mutter Frieda von Richthofen nach Oberbayern durch – sie wird sein Vorbild für Lady Chatterley. Ansonsten liegen überall die Nerven blank. Im Kino zerstört Asta Nielsen in den „Sünden der Väter“ das unbekannte Meisterwerk. Das deutsche Heer soll immer weiter wachsen. Henkell Trocken feiert die deutsch-französische Freundschaft.

Was hier mit leiser Ironie lakonisch neben- und gegeneinander gestellt wird zeigt die ganze Widersprüchlichkeit in den politischen Einschätzungen, den Moralvorstellungen, dem Versuch, das Alte zu zerstören und Neues zu etablieren.